Götternektar aus Modena:传统香醋

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Schon vor dem Gebäude der Acetaia di Canossa weht uns ein süßlich betörender Duft entgegen, und auf der schmalen Treppe zum Dachboden wird er Stufe für Stufe eindringlicher. Dann stehen wir zwischen den 400 Holzfässern, die in geordneten Fünfer-Batterien aufgereiht sind. Darin reift seit Generationen der Aceto Balsamico Tradizionale nach dem Solera-System, wie es ganz ähnlich auch beim Sherry verwendet wird. Die Fässer haben abgestuft unterschiedliche Größen und sind nicht übereinander, sondern nebeneinander gelagert. Durch eine Öffnung an der Oberseite, die nur mit einem weißen Leinentuch abgedeckt ist, verdunstet in der Sommerhitze etwa ein Zehntel der Flüssigkeit. Im Winter wird dieser Teil dann jeweils aus dem nächstgrößeren Fass nachgefüllt. So mischt sich die jüngere mit der älteren Flüssigkeit, und im Laufe der Jahre und sogar Jahrzehnte entsteht im kleinsten Fass am Ende der Reihe der gereifte und edle Aceto: zähflüssig, tiefbraun, manchmal fast schwarz, mit sanfter Verschmelzung von fruchtigen Aromen und süß-sauren Geschmacksnoten. Schon ein Tropfen auf Parmesankäse, Erdbeeren, Gänseleber oder rohen Thunfisch bringt die süß-saure Potenz solcher Acetos zur Geltung. Mit dem Balsamico aus dem Supermarkt, der auch seine Qualitäten besitzt, hat er nichts gemein. Das Wort „Tradizionale“ bezeichnet den entscheidenden Unterschied zum industriell hergestellten Produkt.

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„Viel Zeit und Ruhe braucht es zur Herstellung des Aceto, und gar nicht so viel Arbeit“, sagt uns Julia Prestia, die Besitzerin der größten und ältesten Acetaia in der Region Reggio Emilia. „Man muss sich selten kümmern, darf aber die rich­tigen Zeitpunkte fürs Umfüllen nicht verpassen.“ Seit 1888 ist die Herstellung auf dem Landgut Roncolo dokumentiert. Da das Gebäude mit dem typischen Dach­boden aber aus dem 17. Jahrhundert stammt, dürfte hier schon seit drei Jahrhunderten Balsamico hergestellt werden. Die einzelnen Fässer innerhalb der Batterien bestehen aus identischen oder auch unterschiedlichen Holzarten, die dem Ace­to dann die besonderen Geschmacksnoten mitgeben, wobei Eiche, Kirsche, Wacholder, Maulbeere und Kastanie besonders wirkungsvoll sind. Weil die Fässer aber fast nie ausgewechselt, sondern bei undichter Hülle lediglich die Metallringe um die Dauben festgezogen werden, geht dieser Einfluss mit der Zeit verloren. „Der Aceto aus unseren viele Jahrzehnte alten Fässern besitzt deshalb ei­nen ganz eigenen Charakter“, sagt Si­gnora Prestia. Er ist das Produkt eines ununterbrochenen und generationenübergreifenden Reifeprozesses, an dem ausschließlich Traubenmost, die Zeit, das Klima und das Holz der Fässer beteiligt sind. Nach mindestens zwölf Jahren erhält er nach Prüfung durch das Consorzio das Gütesiegel „Aceto Balsamico Tradizionale di Reggio Emilia“. Er kann aber auch achtzehn oder fünfundzwanzig Jahre und als „extravecchio“ sogar noch länger reifen.

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木桶中不同类型的木材赋予了 Aceto 特殊的味道。盖蒂

Die Provinz Modena mag das Verdienst haben, den Aceto Tradizionale und alle Sorten des Balsamicos über die Grenzen Italiens hinaus bekannt gemacht zu haben, doch seine dokumentierte Geschichte beginnt in der Terre di Canossa südlich der Stadt Reggio nell’Emilia. In seinem Werk „Vita Mathildis“ berichtet der Benediktinermönch Donizone, dass der Salierkönig Heinrich III. im Jahr 1046 auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung in Rom hier Station machte und nach einem besonderen Essig verlangte, der auf der Burg von Canossa in Vollkommenheit hergestellt wurde. 30 Jahre später soll sich auch Heinrich IV. bei seinem legendären Bußgang zu Papst Gregor VII. nach Canossa mit dem Aceto getröstet haben. „Mit dem heutigen Balsamico dürfte dieses Produkt wenig gemein gehabt haben“, meinte Julia Prestia, „auch der Begriff Balsamico war damals nicht üblich.“ Wahrscheinlich galt der Aceto eher als Heil- denn als Genussmittel. Doch die knapp sechzig registrierten Betriebe des Consorzio in Reggio Emilia halten ihre Acetos natürlich für die Erben des historischen Originals.

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Hergestellt werden die Balsamicos aus Reggio und Modena nach demselben Prinzip, wobei jede Acetaia im Rahmen der geschützten Ursprungsbezeichnung ihre eigene Philosophie vertritt. Neben Trebbiano und Lambrusco dürfen alle typischen Trauben der Region für den Most verwendet werden. Man nimmt, was eben auf dem eigenen Gut oder in der Nachbarschaft angepflanzt ist. Eine Spätlese mit konzentriertem Most sollte es jedoch sein. Dieser wird dann stundenlang eingekocht, reduziert und anschließend auf dem Dachboden zusammen mit Anteilen von schon gealtertem Tradizionale in das größte Fass der jeweiligen Batterien gefüllt, in dem im Frühjahr die Fermentierung beginnt. Von 200 Litern Traubenmost verbleiben nach vielen Reifejahren dann nur noch ein bis zwei Liter Balsamico. Abgefüllt wird nach mindestens zwölf Jahren eine Teilmenge aus dem kleinsten Fass. Bei älteren Batterien sind in dieser Flüssigkeit natürlich auch noch länger gereifte Mengen aus vorherigen Prozessen enthalten. Deshalb werden sie in tulpenförmige Flaschen mit Etiketten ohne Jahresangabe abgefüllt. Nur die roten, silbernen oder goldenen Verschlusskappen verweisen auf das Minimum von zwölf, acht­zehn oder fünfundzwanzig Reifejahren.

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Für den Most dürfen alle typischen Trauben der Region verwendet werden.
该地区所有典型的葡萄均可用于酿造葡萄汁。罗伯特·海丁格/莱夫

So wird es selbstverständlich auch auf der Acetaia di Canossa gehandhabt, die Julia Prestia vor knapp zehn Jahren übernommen hat. Auf ihrem 130 Hektar großen Anwesen Roncolo 1888, das auf den ersten sanften Hängen zwischen der Po-Ebene und dem Apennin liegt, betreibt sie auch noch das Bioweingut Venturini Baldini. Dort keltert sie gemeinsam mit ihrem Önologen aus heimischen, beinahe vergessenen Rebsorten wie Spergola und Malbo Gentile ebenso rare wie erstklas­sige Tropfen. Außerdem versucht sie, durch klassisch ausgebaute Varianten von Lambrusco Spumante und Frizzante deren nach wie vor lädierten Ruf zu verbessern. Dass die roten Lambrusco-Trauben nicht nur im Balsamico ein exzellentes Produkt ergeben können, beweisen der Spumante Rubino del Cerro und der Frizzante Marchese Manodori, jeweils Cu­vées aus vier unterschiedlichen Lambrusco-Sorten, sowie der Cadelvento, ein frischer Rosato Spumante mit wenig Alkohol.

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Mittlerweile hat Julia Prestia auch die drei alten Gebäude des Landguts mit viel Geschmack und Rücksicht auf die denkmalgeschützte Substanz in ein Boutiquehotel verwandelt. Gleich nebenan in der ehemaligen Orangerie residiert das Restaurant „Limonaia“, von dessen Terrasse man einen famosen Ausblick über die Po-Ebene hat. Eigentlich wollen wir von dort aus noch den dreistündigen Marsch zur Ruine der legendären Burg von Canossa in Angriff nehmen. Doch zu schnell sind wir vom Dunst des Balsamicos betört, vom Prickeln des Lambruscos eingefangen und dem emilianisch geprägten Charme von Roncolo 1888 verfallen. Unser Gang nach Canossa bleibt deshalb im Ansatz stecken.

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F.A.Z.

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Gefahren sind wir am nächsten Tag dann aber doch nach Spilamberto, einem Städtchen in der Provinz Modena, um uns auch aus dortiger Sicht über Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen den Balsamicos aus Reggio und Modena zu informieren. Der richtige Ort dafür ist das Museo del Balsamico Tradizionale, in dem uns die Leiterin Cristina Sereni durch die Ausstellungsräume führt und dabei anhand der Exponate und Fotos noch einmal ausführlich Geschichte und Herstellung erläutert. Dass es hier nicht ausschließlich museal zugeht, belegt der abschließende Gang ins Allerheiligste auf dem gut durchlüfteten Dachboden. Dort liegen mehr als zwanzig Fassbatterien, nach bewährtem Muster dem harschen Wechsel des Klimas ausgesetzt und gefüllt mit heranreifendem Aceto. Dieser Schatz gehört der Genossenschaft Consorteria dell’Aceto Balsamico, und er wird von deren Mitgliedern fachkundig und fürsorglich betreut. Dabei hilft ein Analyselabor im Haus, doch eigentlich verlassen sich die Experten vor allem auf Geschmack und Geruchssinn, ausge­bildet durch jahrzehntelange Erfahrung.

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Die Verkostung des einen oder anderen ausgereiften Tropfens aus dieser hehren Balsamico-Stätte gehört zu unserem Rundgang dazu. Dabei erzählt Cristina Sereni, dass sie selbst zu Hause auch einige Fässer besitzt. Deshalb kann sie aus erster Hand über den familiären Charakter der Herstellung berichten: „Bei Geburt eines Kindes startet man gern eine Batterie, und bei der Hochzeit bekommt die Braut je nach Wohlstand der Familie eines oder mehrere Fässer als Mitgift.“ So lässt sich das familiäre Aceto-Vermögen von Generation zu Generation zumindest bewahren oder sogar vergrößern.

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Ein kleines Fläschchen Balsamico dient auch als beliebtes Geschenk zu besonderen Anlässen. „Damit überreichen wir nicht nur ein edles Produkt, sondern zugleich ein wenig Herzblut“, sagte Si­gnora Sereni, „denn es braucht viel Leidenschaft, um sich einer so langfristigen Aufgabe wie der Reifung unseres schwarzen Nektars zu widmen. Die Investition in Fässer und Most amortisiert sich ei­gentlich nie; ein behutsam hergestellter und gereifter Balsamico ist kein Geschäft.“ Der größte Teil der Produktion kommt sowieso gar nicht erst in den Handel, sondern bleibt im Familien- und Freundeskreis. Das ist ein weiterer Grund für die astronomisch hohen Preise, die schon für einen zwölf Jahre alten Balsamico bezahlt werden müssen: Ein Hundert-Milliliter-Fläschchen kostet zwi­schen fünfzig und hundert Euro.

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Zufällig treffen wir im Museum auch auf Giordano Foroni, den betagten Vizepräsidenten der Consorteria, die sich nicht nur um die Fässer im Museum kümmert, sondern sich auch dem Schutz und der Aufwertung des traditionellen Balsamessigs verschrieben hat. „Worin liegt der Unterschied zwischen den Balsamicos aus Modena und Reggio?“, fragen wir den Experten. „Es gibt keinen“, heißt die lapidare Antwort, „die Vorschriften für die Herstellung sind die selben. Es kommt lediglich auf die Auswahl der Trauben und Fässer sowie die Sorgfalt und Handschrift des jeweiligen Produzenten an.“ Deshalb haben die zuständigen Institutionen in Modena und Reggio Emilia jetzt auch alle regionalen Eitelkeiten begraben und bei der UNESCO einen gemeinsamen Antrag gestellt: Die Herstellungsweise des Aceto Balsamico Tradizionale soll in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen werden. Kein Zweifel, da gehört sie hin.

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Information: Roncolo 1888, Via Filippo Turati, 42, I-42020, Roncolo di Quattro Castella (RE) Telefon: 0039/0522/888478, www.acetaia­di­canossa.it; Museo del Balsamico Tradizionale, Via Roncati 28, I-41057 Spilamberto (MO), Telefon: 0039/059/781614, www.museodelbalsa­micotradizionale.org.

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#Götternektar #aus #Modena传统香醋
2024-04-26 05:47:31

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